Europa
Nr.
05/08 (25. Januar 2008)
Von
der euro-mediterranen Partnerschaft zur Mittelmeerunion?
Seit
Anfang der 1990er Jahre verstärkt die Europäische Union ihre
politische und ökonomische Zusammenarbeit mit dem Mittelmeerraum.
1995
wurde die euro-mediterrane Partnerschaft
(EUROMED)
gegründet, die sich jedoch seit einigen Jahren vermehrter Kritik
ausgesetzt sieht.
Anfang
2007 startete Nicolas Sarkozy eine Initiative zur Schaffung einer
„Union de la
Méditerranée“.
Im Juli 2008 sollen die Staats- und Regierungschefs der
Mittelmeernationen in Paris
die Gründung der neuen Union beschließen. Für Irritationen nicht
nur auf deutscher Seite sorgt
der Umstand, dass im Gegensatz zur EUROMED an der Mittelmeerunion
nicht alle EUMitgliedstaaten teilnehmen sollen, sondern nur
diejenigen, die zugleich Mittelmeeranrainer sind.
Euro-mediterrane
Partnerschaft
Erste
informelle Kooperationsstrukturen
zwischen
Mitgliedsstaaten der EG und Staaten
des
südlichen Mittelmeerraums wurden in den
frühen
1990er Jahren geschaffen. Zu einer Institutionalisierung
kam
es im Jahr 1995: In der
„Deklaration
von Barcelona“ verständigten sich
die
damaligen 15 EU-Mitgliedstaaten mit 12 südlichen
Mittelmeeranrainern
– Ägypten, Algerien,
Israel,
Jordanien, Libanon, Marokko, der Palästinensischen
Autonomiebehörde,
Syrien, Tunesien,
der
Türkei sowie den heutigen EU-Mitgliedern
Malta
und Zypern – während eines
Gipfels
in Barcelona auf die Gründung der euromediterranen
Partnerschaft.
In
Anlehnung an
den
KSZE-Prozess erfolgt die Zusammenarbeit
der
EUROMED- Partnerländer auf drei thematischen
Ebenen,
den sog. Körben: Politik und
Sicherheit;
Wirtschaft und Finanzen sowie Partnerschaft
im
sozialen, kulturellen und humanitären
Bereich.
Als
„vierter Korb“ kam 2005 die
Kooperation
auf den Gebieten Migration, soziale
Integration,
Justiz und innere Sicherheit hinzu.
Institutionell
ausgestaltet ist EUROMED durch
regelmäßige
Treffen der Außen-, Wirtschaftsund
Finanzminister
sowie seit 2004 durch
gemeinsame
Plenartagungen von Mitgliedern
der
nationalen Parlamente sowie des Europäischen
Parlaments
im Rahmen der Euromediterranen
Parlamentarischen
Versammlung.
Vor
dem Hintergrund der EU-Osterweiterung
erfolgte
seit 2004 eine Bündelung der
Beziehungen
der EUROMED zu den neuen
osteuropäischen
Nachbarn unter dem gemeinsamen
Dach
der Europäischen Nachbarschaftspolitik
(ENP).
Trotz
des zwischenzeitlich
erfolgten
Abschlusses erster nationaler Aktionspläne
blieben
Kritiker gegenüber der EUROMED
skeptisch.
Der damalige französische Innenminister
Nicolas
Sarkozy vertrat bereits 2005 die
Meinung,
die Kooperation der EU mit den südlichen
Mittelmeerstaaten
sei „gescheitert“.
Idee
einer Mittelmeerunion
Nicht
zuletzt, um „Frankreich wieder zu einer
herausragenden
Macht des Mittelmeerraums zu
machen“,
kündigte Nicolas Sarkozy im Februar
2007
im Falle seiner Wahl zum Staatspräsidenten
die
Gründung einer „Union de la
Méditerranée“
an. Dabei verglich Sarkozy den
Aufbau
der Mittelmeerunion mit dem Projekt der
europäischen
Integration nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Als
die vier wichtigsten Ziele der
neuen
Mittelmeerunion nannte Sarkozy eine
gemeinsame
Migrationspolitik, den Umweltschutz,
die
Förderung der wirtschaftlichen und
technologischen
Entwicklung sowie eine Kooperation
zur
Bekämpfung von Terrorismus, Kriminalität
und
Korruption.
Institutionell
könne die
Mittelmeerunion
durch regelmäßige Treffen der
Staats-
und Regierungschefs der Mitgliedstaaten
nach
dem Vorbild der G 8 ausgestaltet werden
(„G-Med“).
Sarkozy regte zudem die Bildung
eines
„Mittelmeer-Rats“ analog dem Europarat
sowie
die Gründung einer „Mediterranen Investitionsbank“
nach
dem Vorbild der Europäischen
Investitionsbank
an. Auf militärischer Ebene
schlug
Sarkozy ein „System kollektiver Sicherheit“
zwischen
den Mitgliedern der Mittelmeerunion
vor.
Fraglich
ist derzeit noch, welche Mitgliedstaaten
die
Mittelmeerunion umfassen wird. Während
nach
dem Willen Sarkozys zu dem anvisierten
Gründungstreffen
am 13. Juli 2008 in Paris
sämtliche
Mittelmeeranrainer geladen werden sollen,
spricht
sich die französische Nationalversammlung
in
einer Stellungnahme zudem für
eine
ständige Mitgliedschaft Portugals, Mauretaniens,
Jordaniens
sowie der EU (als internationale
Organisation)
und der Arabischen Liga
aus.
Als
nicht-ständige Mitglieder könnten sich
alle
weiteren Staaten, die dies wünschten, an
einzelnen
Projekten der Mittelmeerunion beteiligen.
Ein
Konfliktpunkt, der die Entwicklung der EUROMED
bisher
belastete, scheint jedoch auch
die
Gründung der Mittelmeerunion zu erschweren.
So
verlangte Libyens Staatschef
Muammar
al-Gaddafi, dass Israel von vornherein
von
der Teilnahme ausgeschlossen sein solle –
was
der französische Außenminister Bernard
Kouchner
als „unvorstellbar“ bezeichnete.
Konfliktpotential
birgt auch die Frage des Verhältnisses
zur
EU: Anders als EUROMED soll
die
Mittelmeerunion nicht in bestehende Strukturen
der
EU integriert werden. Sarkozy äußerte
dazu,
die EU solle durch ihre Institutionen,
insbesondere
die Kommission, als Akteur in die
Mittelmeerunion
eingebunden werden.
Reaktionen
und Ausblick
Unterstützung
erhielt Sarkozy durch den
italienischen
Ministerpräsidenten Romano Prodi
sowie
den spanischen Regierungschef José Luis
Rodriguez
Zapatero.
Ende
Dezember 2007
verständigten
sich die drei Staatschefs in Rom
darauf,
in der Folgezeit in Abstimmung mit den
anderen
Mittelmeeranrainern die Fragen der
Ziele
der neuen Gemeinschaft, mögliche Projekte
sowie
deren Finanzierbarkeit zu klären.
Zu
Irritationen führte die französische Initiative
dagegen
vor allem in den mittel- und nordeuropäischen
EU-Mitgliedstaaten.
So warnte
Bundeskanzlerin
Angela Merkel davor, die Mittelmeerunion
könne
dazu führen, „dass die EU in
ihrem
Kernbereich zerfällt“.
Das
deutsche Außenministerium sprach sich gegen
Überlegungen
aus, der Mittelmeerunion Zugang zu
denselben
finanziellen Mitteln zu gewähren, die
EUROMED
zustehen. Der deutsche EP-Abgeordnete
Martin
Schulz sprach von einer „kategorischen
Ablehnung“
der Pläne für eine
Mittelmeerunion
von Seiten der Sozialdemokratischen
Fraktion
des Europäischen Parlaments.
Doch
auch potenzielle Mitglieder der Mittelmeerunion
äußerten
sich kritisch über die französischen
Pläne:
So warnte der slowenische
Ministerpräsident
und derzeitige EU-Ratspräsident,
Janez
Jansa, im Januar dieses Jahres vor
einer
„Verdoppelung“ von bereits existenten EUInstitutionen.
Obgleich
Sarkozy bereits eine
Achse
Paris-Algier für die Mittelmeerunion anvisierte,
ging
auch der algerische Präsident Abdelaziz
Bouteflika
auf Distanz zu dem Vorhaben.
Der
türkische Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan,
dessen Land nach Sarkozys Vorstellungen
– anstelle
einer Vollmitgliedschaft in der
EU
– eine Sonderstellung innerhalb der Mittelmeerunion
einnehmen
sollte, sprach davon, dass
das
Projekt „keine Basis“ habe. Vereinzelt wird
auch
der „europäische Geist“ des Vorhabens bezweifelt
– schließlich
könnte Frankreich auch
eine
Reformierung des Barcelona-Forums anstreben.
Dies
würde Frankreich jedoch in geringerem
Maße
erlauben, die eigenen Interessen
etwa
in Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit
Algerien
bei der zivilen Nutzung der Kernenergie
sowie
der Erschließung algerischer Erdgasfelder
zu
wahren, so die Kritiker.
Es
bleibt abzuwarten, ob sich die Mittelmeeranrainer
tatsächlich
am 13. Juli 2008 auf die Gründung
einer
neuen Gemeinschaft verständigen
können.
Nach
den Vorstellungen Frankreichs,
Italiens
und Spaniens soll in diesem Fall am folgenden
Tag,
dem französischen Nationalfeiertag,
im
Rahmen des EU-Gipfels unter französischer
Ratspräsidentschaft
eine Einigung mit
der
EU erzielt werden.
Jüngste
Bemühungen der
slowenischen
Ratspräsidentschaft – etwa um die
Gründung
einer „Euro-mediterranen Universität“
– weisen
eher auf eine Wiederbelebung des
Barcelona-Prozesses
als Folge der französischen
Pläne
hin. Indirekt dürfte diese Schärfung
des
Bewusstseins der EU für die Mittelmeerregion
nicht
zuletzt auch den Bemühungen
des
französischen Staatspräsidenten um die
Schaffung
einer Mittelmeerunion zu verdanken
sein.
Quellen
und Literatur:
-
Asseburg, Muriel, „Barcelona Plus 10“, SWP-Aktuell 57, Berlin,
Dezember 2005.
-
Assemblée Nationale, Rapport d’information de la Commission des
affaires étrangères sur le
thème
« Comment construire l’Union méditerranéenne ? », 5. Dezember
2007.
-
Ronja Kempin, Neue Töne – neue Politik?, SWP-Diskussionspapier,
Berlin, Mai 2007.
-
Nicolas Sarkozy, Discours, Toulon, 7. Februar 2007.
-
Nicolas Sarkozy, Discours, Paris, 28. Februar 2007.
-
Jörg Schneider : Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP),
Wissenschaftliche Dienste des
Deutschen
Bundestags, Europa-Thema Nr. 55/06, 23. November 2006.
-
Jörg Schneider: Zehn Jahre euro-mediterrane Partnerschaft
(1995-2005), Wissenschaftliche
Dienste
des Deutschen Bundestages, Europa-Thema Nr. 10/05, 14. November 2005.
Dr.
Jörg Schneider, Frederik von Harbou, Fachbereich WD 11 – Europa,
Tel.: (030) 227-33614,
E-mail:
vorzimmer.wd11@bundestag.de