Dr. Andreas Dombret
Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
Der Kuchen wird kleiner.
Konsolidierung und Neuausrichtung im deutschen Bankensektor
Rede auf der 5. Jahreskonferenz Gesamtbanksteuerung der Frankfurt School of Finance & Management
Frankfurt am Main
|
30.03.2017
1 Einleitung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich darüber, auf dieser Konferenz zur
Gesamtbanksteuerung zu sprechen. Die enge Kooperation zwischen der
Deutschen Bundesbank und der Frankfurt School of Finance &
Management hat schon gute Tradition und ist mir ein wichtiges Anliegen.
"Der Kuchen wird kleiner: Konsolidierung und Neuausrichtung im deutschen Bankensektor
"-
so lautet das Thema meines Vortrages. Passend dazu stelle ich die
Frage, was die Steuerung eines Kreditinstituts mit dem berühmten Frankfurter Kranz gemeinsam hat….
Nun, beides sind Königsdisziplinen ihres Metiers: Der
Frankfurter Kranz, der 1735 von einem unbekannten Bäcker in Frankfurt
erfunden wurde, hängt mit der Geschichte von Frankfurt am Main im 18.
Jahrhundert zusammen – der Kranz stellte des Kaisers Krone dar.
Dementsprechend erfordert die Zubereitung auch hohes handwerkliches
Geschick.
Analog dazu zählt die Steuerung eines Kreditinstituts
mittlerweile zu den wirtschaftlichen Königsdisziplinen. In den letzten
Jahren ist es deutlich anspruchsvoller geworden, ein Institut in seiner
Gesamtheit zu steuern – und das nicht nur, weil das Umfeld härter
geworden ist, sondern auch, weil der insgesamt zu verteilende Kuchen
kleiner geworden ist und ständig kleiner wird. Und wenn die
Anforderungen steigen, müssen auch die Rezepte angepasst werden.
2 Der Kuchen wird kleiner
Der Kuchen, der unter den deutschen Banken und
Sparkassen verteilt werden kann, schrumpft nun seit vielen Jahren: Das
kann man an den Erträgen messen, die seit mehr als 15 Jahren sinken –
zwischen 1999 und 2015 um fast 30%.
Dieser Rückgang hat mehrere Ursachen. Zum einen wird
sowohl der europäische als auch speziell der deutsche Bankensektor von
Kritikern gerne als "overbanked" beschrieben. Diese Überkapazitäten drücken, solange sie nicht abgebaut werden, auf die Erträge.
Eine ähnliche Wirkung hat das Niedrigzinsumfeld. Wir
können beobachten, dass die Margen aus dem Einlagengeschäft bereits
heute zurückgegangen sind – auch weil die Banken sich scheuen, die
negativen Zinsen an die Privatkunden weiterzugeben. Zudem sehen wir,
dass der Beitrag aus dem Aktivgeschäft tendenziell konstant geblieben
ist.
Verschweigen lässt sich natürlich auch nicht, dass die
Konkurrenz zugenommen hat – wobei der Wettbewerb im deutschen
Bankensektor schon immer sehr hoch war. Fintechs rollen das Feld neu auf
und etablierte Kreditinstitute laufen in vielen Bereichen den
Entwicklungen hinterher. Indem ein Teil der Wertschöpfungskette zu den
Fintechs übergeht, fehlen diese Einnahmen bei den Banken. Und bei neuen
Ertragsfeldern, wie etwa alternativen Zahlungsverfahren, haben neue
Wettbewerber bereits Vorsprünge.
Bei der Diskussion um die Ertragsschwäche deutscher
Institute geht es auch immer wieder um die Rolle der Regulierung. Vor
der Finanzkrise gab es sicherlich blinde Flecken in der Regulierung, die
viele Institute für zu riskante Geschäfte genutzt haben. Mit ihrem
Verhalten haben sie die ganze Volkswirtschaft belastet. Deswegen ist es
gut, dass es nun verbesserte Regeln gibt und dass die Aufsicht strenger
geworden ist. Natürlich erwarte ich von den Instituten keine
Begeisterungsstürme– aber die Reformen waren richtig und wichtig und
sind zu einem guten Teil einmalig anfallende Umsetzungskosten.
Regulierung, Digitalisierung, Niedrigzinsen,
Überkapazitäten – das alles spricht dafür, dass sich die Ertragslage auf
absehbare Zeit nicht entspannen wird. Die wirtschaftliche Entwicklung
ist momentan positiv– sollte sich das allerdings wieder ändern, wird das
zusätzlich Druck auf die Banken ausüben.
Mit anderen Worten: Es sieht momentan so aus, als würde
der Kuchen kurz- und mittelfristig nicht wieder größer werden –
vermutlich wird er sogar noch etwas weiter schrumpfen.
Wie kann der Sektor hierauf reagieren? Es wird wohl
eine Mischung aus Konsolidierung auf der einen und Neuausrichtung auf
der anderen Seite sein.
3 Konsolidierung und das weitere Schrumpfen des Kuchens
Beginnen wir mit der Konsolidierung. Wie man am
kontinuierlichen Rückbau der Filialen und der Institute erkennen kann,
schreitet diese bereits voran. Das Ende der Fahnenstange ist aber noch
nicht erreicht: Insbesondere mit Blick auf die Verbesserung des
Ausgaben-Einnahmen-Verhältnisses scheint eine weitere Konsolidierung
folgerichtig. Denn der deutsche Bankensektor belegt im europäischen
Vergleich unverändert einen der hinteren Plätze. Kostensenkungsprogramme
und die Erhöhung der operativen Effizienz werden deshalb wohl auch
weiterhin Teil der Agenda der Banken und Sparkassen sein müssen.
Eine weitreichende Möglichkeit der Kosteneinsparung ist
die Zusammenlegung von Instituten oder die Übernahme von
Institutsteilen. Auch dies wurde in den vergangenen Jahren bereits
verfolgt – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
Natürlich sind aber Fusionen kein Allheilmittel per se:
Denn aus zwei schwächelnden Instituten wird nicht einfach ein robustes.
Vielmehr bestehen Ansteckungsgefahren. Mathematisch mag minus mal minus
plus ergeben – bei Fusionen ist das in den allermeisten Fällen nicht
so.
Fusionen oder Ankäufe müssen also, um erfolgreich zu
sein, eine realistische Strategie verfolgen. So können regionale
Ergänzungen oder auch europäische Zusammenschlüsse eine gute Idee sein.
Sind die Pläne durchdacht, wird auch die Aufsicht den Prozess positiv
begleiten. Wir werden aber unsere Anforderungen an kriselnde Institute
deshalb nicht senken, sondern genau hinsehen.
4 Verbesserte und neue Rezepte müssen her
Meine Damen und Herren, Konsolidierung reicht bei
Weitem nicht aus. Deshalb müssen die deutschen Kreditinstitute ihre
Geschäftsmodelle zum Teil neu ausrichten. Und das passiert bereits. Aber
ist die Neuausrichtung wirklich schon in vollem Gange? Ich denke, es
gibt noch Potenzial nach oben.
Benötigt werden neue und verbesserte Rezepte, um
künftig noch ertragreiche Kuchen backen zu können. Ich mahne ja bereits
seit einiger Zeit, dass die Institute ihre Geschäftsmodelle überprüfen
und in vielen Fällen anpassen oder gar neu ausrichten sollten.
Denn der Druck wird noch weiter zunehmen. Das Geschäftsumfeld hat sich seit 2008 gravierend verändert – man spricht gerne von ‚the new normal‘, dem neuen Normalzustand. Die Geschäftsmodelle können da nicht einfach im ,old normal‘ verharren.
Bitte lassen Sie mich eine der größten
Herausforderungen für Banken und Sparkassen in diesem Zusammenhang
ansprechen, nämlich das Niedrigzinsumfeld. Wir alle wissen, dass es das
Fundament vieler deutscher Institute ins Wanken bringt – nämlich
derjenigen, die ein stark zinsabhängiges Geschäftsmodell betreiben.
Deshalb muss eine zu hohe Abhängigkeit vom Zinseinkommen überall auf den
Prüfstand kommen.
Wenn nun die Banken ihre Strategien prüfen, dann müssen
sie auch folgendes Szenario berücksichtigen: Nämlich, dass die Zinsen
auch wieder steigen werden. Daraus entstehen Zinsänderungsrisiken, die
das Risikomanagement auffangen können muss. Institutsindividuelle
Antworten sollten sorgfältig ausgearbeitet in der Schublade liegen – und
nicht erst hektisch umgesetzt werden, wenn der Ernstfall eintritt und
die Zinsen steigen. Darüber hinaus müssen die neuen Rezepte künftig auch
digitale Zutaten haben. Das gilt für die Geschäftsmodelle genauso wie
für das Risikomanagement. Im Risikomanagement muss heutzutage viel
stärker das Thema der Cyber-Risiken berücksichtigt werden, was eine
Gesamtsteuerungsaufgabe ist.
Effiziente Prozesse, die Skaleneffekte auf der
Kostenseite realisieren, können die Ertragslage stabilisieren. Einen
Beitrag dazu kann neue Informationstechnologie ebenso leisten wie für
die Neuausrichtung der Geschäftsmodelle.
In begrenztem Maße kann sie nämlich helfen, neue Einkommensbereiche zu
erschließen. Neue Einnahmequellen sowie die effektivere Nutzung bereits
bestehender Quellen können auch durch die Kooperation mit Fintechs
erreicht werden.
5 Strengere Vorgaben für das Backverfahren: Regulierung und Banksteuerung
Aber es sind nicht nur die Geschäftsmodelle, die auf
den Prüfstand müssen, es sind auch die Steuerungsansätze. Und hier kommt
die Regulierung ins Spiel.
Bis vor wenigen Jahren war das Kernelement der
Gesamtbanksteuerung im Wesentlichen die Kapitalsteuerung, die sich am
eingegangenen Risiko orientierte. Im Zentrum stand dabei der möglichst
effiziente Einsatz von Kapitalressourcen bei gleichzeitiger Einhaltung
der regulatorischen Mindestkapitalanforderungen.
Dieser Grundsatz stellt auch derzeit noch den Kern der
Steuerung dar. Aber die Regulierungsreformen seit der Finanzkrise
zwingen zu einem gewissen Umdenken.
Die Probleme im Bankensektor haben gezeigt, dass eine
rein risikogewichtete Mindestkapitalanforderung nicht ausreicht, um den
Sektor ausreichend widerstandsfähig zu machen.
Weil die risikogewichteten Kapitalanforderungen alleine
keinen ausreichenden Schutz dargestellt haben, wurden mit Basel III
zusätzliche Sicherheitsnetze eingeführt. Zu den risikogewichteten
Anforderungen ist die Leverage Ratio hinzugekommen, außerdem gibt es
zwei neue Liquiditätskennziffern, Kapitalpuffer, verlustabsorbierendes
Kapital und individuelle Kapitalzuschläge im Rahmen des aufsichtlichen
Überprüfungsprozesses.
Aus der Sicht des Aufsehers ist das sinnvoll, weil wir
die diversen Risiken, die zum Ausfall einer Bank führen können, mit
maßgeschneiderten Instrumenten kontrollieren.
Für die Kreditinstitute bedeutet das neue System aber,
dass sie nicht mehr nur eine Größe in ihrer Steuerung zu berücksichtigen
haben, sondern gleich mehrere. Bei der Entscheidung für die Vergabe
eines Kredits spielen also nicht mehr nur der Ertrag und der effiziente
Einsatz des Eigenkapitals eine Rolle, sondern beispielsweise auch die
Auswirkung auf die Bilanzstruktur, wie sie die Stabile
Finanzierungskennziffer (
Net Stable Funding Ration,
NSFR) reguliert.
Vermutlich die größte Herausforderung liegt in dem
Zusammenspiel der verschiedenen Mindestanforderungen und der
zeitgleichen Einhaltung von Kapitalmindestanforderungen,
Verschuldungsobergrenze, Vorgaben an die Liquidität und die
Bilanzstruktur sowie zeitlich und institutsspezifisch variierenden
Anforderungen – in dieser Dimension ist dies ein Novum.
Das heißt, dass das Optimierungsproblem plötzlich sehr
viel komplizierter wird, und sich die Frage stellt: Kann die Einhaltung
der Anforderungen durch eine einfache Gleichung erreicht werden? Oder
bedarf es eines vielschichtigeren Ansatzes?
Gerade wegen dieser Komplexität ist eine intelligente
Gesamtrisikosteuerung so wichtig. Dabei stellt sich natürlich die Frage,
auf welchen Ebenen diese Steuerung ansetzt: Können unterschiedliche
Kennziffern auf einzelne Geschäftsaktivitäten herunter gebrochen werden?
Oder ist es sinnvoller, auf Ebene der Gesamtbank oder Portfolioebene
anzusetzen, um Risikotreiber zu identifizieren und Steuerungsimpulse
transparent zu machen? All dies erfordert Umdenken in den Instituten,
operativ wie strategisch.
Ein Aspekt ist mir besonders wichtig: Institute sollten
und können nicht ausschließlich nach der Einhaltung regulatorischer
Mindestanforderungen steuern. Auch wenn ich eingestehen muss, dass die
von uns Aufsehern erlassenen Regeln natürlich Grenzen bei der Steuerung
setzen.
Aber es bleibt erheblicher unternehmerischer Spielraum,
den Institute erfolgreich nutzen können: Durch intelligente
Geschäftsmodelle, durch innovative Strategien und durch passgenaue
operative Umsetzung. Geschäftsmodelle, die nur nach regulatorischen
Mindestanforderungen steuern, können nicht lange erfolgreich sein. Die
Einhaltung der Mindestanforderungen sind notwendige Nebenbedingungen –
die Hauptbedingung für Erfolg hingegen ist ein intelligentes,
langfristig umsetzbares Geschäftsmodell.
6 Fazit
Meine Damen und Herren, das ‚new normal‘ zwingt zu
einem Umdenken bei Geschäftsmodellen und Steuerungsansätzen. In dieser
neuen Normalität schrumpft der Kuchen weiter. Folgerichtig werden
Rezepte und Zubereitung deutlich anspruchsvoller – aber, und davon bin
ich überzeugt: Künftige Kuchen müssen nicht nur besser schmecken,
sondern auch weniger Bauchschmerzen bereiten – den Kunden, der
Realwirtschaft, den Aufsehern und den Banken selbst auch.
Sie alle hier arbeiten an den verbesserten Rezepten;
und auch wenn noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen ist, so bin ich
fest davon überzeugt, dass Sie sich auf dem Weg zu Erfolgsrezepten
befinden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fußnote:
- Dombret, Andreas (2016): Konsequenzen der Digitalisierung für
Banken und die Bankenaufsicht. Vortrag beim 16. Norddeutschen Bankentag
an der Leuphana Universität Lüneburg am 8. Juni 2016.
http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2016/2016_06_08_dombret.html.