Dienstag, 4. März 2008

Von der euro-mediterranen Partnerschaft zur Mittelmeerunion?

Nr. 05/08 (25. Januar 2008)

Europa


Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste

Von der euro-mediterranen Partnerschaft zur Mittelmeerunion?

Seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt die Europäische Union ihre politische und ökonomische
Zusammenarbeit mit dem Mittelmeerraum. 1995 wurde die euro-mediterrane Partnerschaft
(EUROMED) gegründet, die sich jedoch seit einigen Jahren vermehrter Kritik ausgesetzt sieht.
Anfang 2007 startete Nicolas Sarkozy eine Initiative zur Schaffung einer „Union de la
Méditerranée“. Im Juli 2008 sollen die Staats- und Regierungschefs der Mittelmeernationen in
Paris die Gründung der neuen Union beschließen. Für Irritationen nicht nur auf deutscher Seite
sorgt der Umstand, dass im Gegensatz zur EUROMED an der Mittelmeerunion nicht alle EUMitgliedstaaten
teilnehmen sollen, sondern nur diejenigen, die zugleich Mittelmeeranrainer sind.



Euro-mediterrane Partnerschaft
Erste informelle Kooperationsstrukturen
zwischen Mitgliedsstaaten der EG und Staaten
des südlichen Mittelmeerraums wurden in den
frühen 1990er Jahren geschaffen. Zu einer Institutionalisierung
kam es im Jahr 1995: In der
„Deklaration von Barcelona“ verständigten sich
die damaligen 15 EU-Mitgliedstaaten mit 12 südlichen
Mittelmeeranrainern – Ägypten, Algerien,
Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, der Palästinensischen
Autonomiebehörde, Syrien, Tunesien,
der Türkei sowie den heutigen EU-Mitgliedern
Malta und Zypern – während eines
Gipfels in Barcelona auf die Gründung der euromediterranen
Partnerschaft. In Anlehnung an
den KSZE-Prozess erfolgt die Zusammenarbeit
der EUROMED- Partnerländer auf drei thematischen
Ebenen, den sog. Körben: Politik und
Sicherheit; Wirtschaft und Finanzen sowie Partnerschaft
im sozialen, kulturellen und humanitären
Bereich. Als „vierter Korb“ kam 2005 die
Kooperation auf den Gebieten Migration, soziale
Integration, Justiz und innere Sicherheit hinzu.
Institutionell ausgestaltet ist EUROMED durch
regelmäßige Treffen der Außen-, Wirtschaftsund
Finanzminister sowie seit 2004 durch
gemeinsame Plenartagungen von Mitgliedern
der nationalen Parlamente sowie des Europäischen
Parlaments im Rahmen der Euromediterranen
Parlamentarischen Versammlung.
Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung
erfolgte seit 2004 eine Bündelung der
Beziehungen der EUROMED zu den neuen
osteuropäischen Nachbarn unter dem gemeinsamen
Dach der Europäischen Nachbarschaftspolitik
(ENP). Trotz des zwischenzeitlich
erfolgten Abschlusses erster nationaler Aktionspläne

blieben Kritiker gegenüber der EUROMED
skeptisch. Der damalige französische Innenminister
Nicolas Sarkozy vertrat bereits 2005 die
Meinung, die Kooperation der EU mit den südlichen
Mittelmeerstaaten sei „gescheitert“.
Idee einer Mittelmeerunion
Nicht zuletzt, um „Frankreich wieder zu einer
herausragenden Macht des Mittelmeerraums zu
machen“, kündigte Nicolas Sarkozy im Februar
2007 im Falle seiner Wahl zum Staatspräsidenten
die Gründung einer „Union de la
Méditerranée“ an. Dabei verglich Sarkozy den
Aufbau der Mittelmeerunion mit dem Projekt der
europäischen Integration nach dem Zweiten
Weltkrieg. Als die vier wichtigsten Ziele der
neuen Mittelmeerunion nannte Sarkozy eine
gemeinsame Migrationspolitik, den Umweltschutz,
die Förderung der wirtschaftlichen und
technologischen Entwicklung sowie eine Kooperation
zur Bekämpfung von Terrorismus, Kriminalität
und Korruption. Institutionell könne die
Mittelmeerunion durch regelmäßige Treffen der
Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten
nach dem Vorbild der G 8 ausgestaltet werden
(„G-Med“). Sarkozy regte zudem die Bildung
eines „Mittelmeer-Rats“ analog dem Europarat
sowie die Gründung einer „Mediterranen Investitionsbank“
nach dem Vorbild der Europäischen
Investitionsbank an. Auf militärischer Ebene
schlug Sarkozy ein „System kollektiver Sicherheit“
zwischen den Mitgliedern der Mittelmeerunion
vor.
Fraglich ist derzeit noch, welche Mitgliedstaaten
die Mittelmeerunion umfassen wird. Während
nach dem Willen Sarkozys zu dem anvisierten
Gründungstreffen am 13. Juli 2008 in Paris sämt-

liche Mittelmeeranrainer geladen werden sollen,
spricht sich die französische Nationalversammlung
in einer Stellungnahme zudem für
eine ständige Mitgliedschaft Portugals, Mauretaniens,
Jordaniens sowie der EU (als internationale
Organisation) und der Arabischen Liga
aus. Als nicht-ständige Mitglieder könnten sich
alle weiteren Staaten, die dies wünschten, an
einzelnen Projekten der Mittelmeerunion beteiligen.
Ein Konfliktpunkt, der die Entwicklung der EUROMED
bisher belastete, scheint jedoch auch
die Gründung der Mittelmeerunion zu erschweren.
So verlangte Libyens Staatschef
Muammar al-Gaddafi, dass Israel von vornherein
von der Teilnahme ausgeschlossen sein solle –
was der französische Außenminister Bernard
Kouchner als „unvorstellbar“ bezeichnete. Konfliktpotential
birgt auch die Frage des Verhältnisses
zur EU: Anders als EUROMED soll
die Mittelmeerunion nicht in bestehende Strukturen
der EU integriert werden. Sarkozy äußerte
dazu, die EU solle durch ihre Institutionen,
insbesondere die Kommission, als Akteur in die
Mittelmeerunion eingebunden werden.
Reaktionen und Ausblick
Unterstützung erhielt Sarkozy durch den
italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi
sowie den spanischen Regierungschef José Luis
Rodriguez Zapatero. Ende Dezember 2007
verständigten sich die drei Staatschefs in Rom
darauf, in der Folgezeit in Abstimmung mit den
anderen Mittelmeeranrainern die Fragen der
Ziele der neuen Gemeinschaft, mögliche Projekte
sowie deren Finanzierbarkeit zu klären. Zu
Irritationen führte die französische Initiative
dagegen vor allem in den mittel- und nordeuropäischen
EU-Mitgliedstaaten. So warnte
Bundeskanzlerin Angela Merkel davor, die Mittelmeerunion
könne dazu führen, „dass die EU in
ihrem Kernbereich zerfällt“. Das deutsche
Außenministerium sprach sich gegen Überlegungen
aus, der Mittelmeerunion Zugang zu
denselben finanziellen Mitteln zu gewähren, die
EUROMED zustehen. Der deutsche EP-Abgeordnete
Martin Schulz sprach von einer „kategorischen

Ablehnung“ der Pläne für eine
Mittelmeerunion von Seiten der Sozialdemokratischen
Fraktion des Europäischen Parlaments.
Doch auch potenzielle Mitglieder der Mittelmeerunion
äußerten sich kritisch über die französischen
Pläne: So warnte der slowenische
Ministerpräsident und derzeitige EU-Ratspräsident,
Janez Jansa, im Januar dieses Jahres vor
einer „Verdoppelung“ von bereits existenten EUInstitutionen.
Obgleich Sarkozy bereits eine
Achse Paris-Algier für die Mittelmeerunion anvisierte,
ging auch der algerische Präsident Abdelaziz
Bouteflika auf Distanz zu dem Vorhaben.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan, dessen Land nach Sarkozys Vorstellungen
– anstelle einer Vollmitgliedschaft in der
EU – eine Sonderstellung innerhalb der Mittelmeerunion
einnehmen sollte, sprach davon, dass
das Projekt „keine Basis“ habe. Vereinzelt wird
auch der „europäische Geist“ des Vorhabens bezweifelt
– schließlich könnte Frankreich auch
eine Reformierung des Barcelona-Forums anstreben.
Dies würde Frankreich jedoch in geringerem
Maße erlauben, die eigenen Interessen
etwa in Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit
Algerien bei der zivilen Nutzung der Kernenergie
sowie der Erschließung algerischer Erdgasfelder
zu wahren, so die Kritiker.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Mittelmeeranrainer
tatsächlich am 13. Juli 2008 auf die Gründung
einer neuen Gemeinschaft verständigen
können. Nach den Vorstellungen Frankreichs,
Italiens und Spaniens soll in diesem Fall am folgenden
Tag, dem französischen Nationalfeiertag,
im Rahmen des EU-Gipfels unter französischer
Ratspräsidentschaft eine Einigung mit
der EU erzielt werden. Jüngste Bemühungen der
slowenischen Ratspräsidentschaft – etwa um die
Gründung einer „Euro-mediterranen Universität“
– weisen eher auf eine Wiederbelebung des
Barcelona-Prozesses als Folge der französischen
Pläne hin. Indirekt dürfte diese Schärfung
des Bewusstseins der EU für die Mittelmeerregion
nicht zuletzt auch den Bemühungen
des französischen Staatspräsidenten um die
Schaffung einer Mittelmeerunion zu verdanken
sein.

Quellen und Literatur:
- Asseburg, Muriel, „Barcelona Plus 10“, SWP-Aktuell 57, Berlin, Dezember 2005.
- Assemblée Nationale, Rapport d’information de la Commission des affaires étrangères sur le
thème « Comment construire l’Union méditerranéenne ? », 5. Dezember 2007.
- Ronja Kempin, Neue Töne – neue Politik?, SWP-Diskussionspapier, Berlin, Mai 2007.
- Nicolas Sarkozy, Discours, Toulon, 7. Februar 2007.
- Nicolas Sarkozy, Discours, Paris, 28. Februar 2007.
- Jörg Schneider : Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), Wissenschaftliche Dienste des
Deutschen Bundestags, Europa-Thema Nr. 55/06, 23. November 2006.
- Jörg Schneider: Zehn Jahre euro-mediterrane Partnerschaft (1995-2005), Wissenschaftliche
Dienste des Deutschen Bundestages, Europa-Thema Nr. 10/05, 14. November 2005.
Dr. Jörg Schneider, Frederik von Harbou, Fachbereich WD 11 – Europa, Tel.: (030) 227-33614,
E-mail: vorzimmer.wd11@bundestag.de



http://www.bundestag.de/bic/analysen/2008/Mittelmeerunion.pdf

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